Der Tag beginnt ähnlich wie der gestrige, beim Blick auf den Regenradar entscheide ich mich ein wenig abzuwarten. Also koche ich Tee und lege mich zurück ins warme Bett, während ich dem leisen Regen draußen wahrnehme.
Beim Loslaufen nehme ich wieder meine schmerzende Hüfte wahr.
Mürrisch appelierend an meine Vernunft, zwinge ich mich zur Geduld. Im Schneckentempo geht es für mich weiter.
In Mélisey bietet mir eine großzügige Bushaltestelle halbwegs trockenen Unterschlupf. Der Regen wird stärker und der Wind kälter. Ich wähle die Telefonnummer der Unterkunft, die ich heute morgen nicht erreicht hatte. Die Dame am anderen Ende spricht gut Englisch und sagt mir zu, mich in wenigen Minuten zurückzurufen, ob es Kapazität für mich gibt.

Die Pfützen werden größer und die Regentropfen brechen sich an der Oberfläche des Wassers. Die kreisrunden Muster wirken beruhigend.
Ein Blick auf meine Schuhe verrät die matschigen Wege auf denen ich heute unterwegs war. Meine Leggins ist bis zu den Knien nass. Ich kann es kaum abwarten in ein paar Tagen endlich eine Regenhose zu kaufen – und auf Handschuhe freue ich mich auch sehr!
Laut Wettervorhersage soll es sich erst in 30 bis 60 Minuten abschwächen (aufhören soll es heute gar nicht). Also hole ich an der Bushaltestelle meinen Gaskocher aus dem Rucksack. Ein zeit-überbrückendes Heißgetränk halte ich für eine gute Idee. In der Zwischenzeit werde ich zurückgerufen und mir wird ein Bett zugesagt.
Nun, leider wird der Regen nicht schwächer. Die Wegesmarkierung ist alles andere als hilfreich oder gar regelmäßig. Ich wende einen kleinen Trick an, den ich nicht gerne nutze, da er sehr akkuziehend ist.
Ich schalte ein Navigationssystem ein, stecke einen Kopfhörer in mein Ohr und schwinge mir meinen Poncho über. Die Stimme sagt mir den Weg an und die ersten Abbiegungen funktioniert dies erstaunlich gut. Der Niederschlag prasselt in Bindfäden auf mich herunter, meine Schuhe durchweichen und es platscht bei jedem Schritt. Die Schwere an meinen Füßen kostet Kraft und Müdigkeit setzt in mir ein.
Die letzten 2 Stunden werden somit anstrengend, der Waldweg ist aufgeweicht.

Als mir die Stimme in meinem Ohr zum 10. Mal mitteilt „kein GPS-Signal“, gebe ich nur leise zurück: „Ach, f*ck dich doch.“
Nach 19 Kilometern komme ich in Epineul an, die Besitzerin empfängt mich freundlich. Die nassen Schuhe, Socken und den Poncho lasse ich direkt am Eingang. Sie zeigt mir alles, in der Küche gibt es einen Schrank mit trockenen Lebensmittel, die ich benutzen darf.
Den Schlafsaal mit 8 Betten habe ich für mich alleine. Das Haus ist groß und auf den ersten Blick ein bisschen trist eingerichtet, allerdings erzählt sie mir, dass dies ein Ort für Fortbildungen jeder Art sei. Momentan ist eine Gruppe da, die Massieren lernt, als nächstes kommen zukünftige Clowns und danach ist eine Tanzgruppe angemeldet. Mir gefällt der Gedanke, dass das Haus so zum Leben erweckt wird.
Wir unterhalten uns noch weiter und ich erfahre, dass ihr Sohn in Bielefeld studiert hat und als ich ihr sage, wie gut ihr Englisch ist, finden wir nicht nur heraus, dass wir beide in der Hauptstadt Neuseelands in Wellington gelebt haben, wir haben sogar im selben Stadtteil gelebt (allerdings mit über 20 Jahren Unterschied). Die Bekanntschaft wird absurder, als ich sie nach ihrem Namen frage. Ich höre wohl nicht recht, ausgesprochen sind wir beinahe Namensvetterinnen, jedoch wird ihr Name Aline geschrieben. Manche Zufälle sind wirklich kurios.
Meine nasse Kleidung landet schnell im Waschbecken, eine heiße Dusche wird sehnsüchtig von mir erwartet.
Es regnet immer weiter und so freue ich mich über die Möglichkeit aus Nudeln und grünen Linsen essen zu kochen. Die Portion wird natürlich größer als geplant. Mein Hunger ist groß und so esse ich alle vier Teller auf. Die Teilnehmer des Massage-Kurses gesellen sich langsam in den Essensraum.
Eine weitere Aline, außerdem Sebastian und Veronique starten ein Gespräch mit mir und setzen sich an meinen Tisch. Es tut gut sich mal wieder länger mit Leuten zu unterhalten. Alle sind furchtbar nett und wir tauschen uns aus. Der Kurs lehrt vorallem die Kalifornische Massagekunst und ich bekomme kleine Einblicke in die Leben der Menschen.

Die Truppe will noch einen Film gucken und ich beziehe oben im Schlafsaal mein Bett. Es ist super bequem und hat eine dicke, weiche Decke. Hier unterm Dachfenster höre ich den Regen und als ich die Augen schließe, fühle ich mich fast wie zu Hause in meiner Dachgeschosswohnung.