Der ruhige Nacht und Erholung fühlt sich am nächsten Morgen wundervoll an. So erschöpft wie gestern Abend war ich lange nicht.
Mein Zimmer habe ich die Nacht zufälligerweise mit der Pilgerin vom gestrigen Tag geteilt. Marina ist ebenso von Köln bis Trier gelaufen, aber erst gestern sind wir uns begegnet. Für sie geht es morgen wieder nach Hause.
Eigentlich wollte ich gerne einen Tag in Trier verbringen, aber mir steht der Kopf überhaupt nicht nach Sightseeing. Die Altstadt um den Dom herum ist wirklich schön, dennoch entscheide ich mich dazu aufzubrechen. Allerdings lasse ich mir wirklich Zeit und aus einem ganz bestimmten Grund treibt mich heute kein bestimmter Ort an dem ich sein muss. Die Unterkünfte haben entweder zu hohe Preise oder noch nicht wieder geöffnet.
Um 10:00 Uhr checke ich aus dem Hostel aus und begegne noch den zwei anderen Pilgerinnen von gestern, sie fahren heute Nachmittag nach Hause und machen wohl noch einen Abstecher nach Bielefeld, um den Sohn der einen Frau zu besuchen: „Ein Platz im Auto ist noch frei.“ Dieses verlockende Angebot lehne ich dankend ab.
In der Dom-Info hole ich mir noch einen Stempel für meinen Pass und ziehe los.
Vorbei an dem kurfürstlichen Palais in Trier löst die Szenerie der Parkanlage ein ziemliches Gedankenkino aus. Da mich die letzten Tage das Hörbuch „Stolz und Vorurteil“ begleitet hat, kann ich mir in dem Park fast einbilden, wie Mrs. Bennet und Mr. Darcy diskutierend vor mir her stolzieren.

Der Weg aus Trier ist nicht so einfach zu finden, führt allerdings zu meiner Freude eher durch kleine Straßen, als an der lauten Hauptstraße entlang.
An der Mosel angekommen mache ich eine lange ausgedehnte Pause. Eine neue Blase an meinem kleinen Zeh macht ganz schön Ärger.

Weiter führt es mich parallel zu dem großen Fluss in die Stadt Konz. Einen kleinen Umweg nehme ich in Kauf, da ich für heute und morgen Proviant benötige.
Der Vormittag war eher bewölkt, aber mittlerweile zeigt sich die Sonne bisher mit aller Stärke.
Neben einer Hauptstraße ist der Weg nicht besonders schön, allerdings ist meine Aufmerksamkeit plötzlich auf etwas anders gezogen. Ein dunkles Grummeln ist zu vernehmen und wenn ich nicht gerade erst gegessen hätte, wäre es gut möglich, dass mein Magen dieses Geräusch von sich gegeben hätte.

Der Blick nach rechts zeigt dunkle Wolken auf. Mehrere Wetterberichte zeigen keine Regenwahrscheinlickeit an, die Szenerie am Himmel und der starke Donner sprechen eine andere Sprache.
Mein Puls erhöht sich leicht und ebenso nimmt meine Schrittgeschwindigkeit zu. Der Schmerz der Blase am rechten Fuß wird ignoriert und in dem Ort Tawern finde ich Schutz in einer sehr großzügigen Bushaltestelle.
Mit mir warten zwei Jugendliche. Der Donner wird stärker, aber bisher gibt es keinen Regen. Die beiden brechen nach 30 Minuten auf, ich entscheide mich noch länger zu warten. Dies stellt sich als die richtige Entscheidung heraus. Es fängt endlich an zu regnen – nach fast einer Stunde warten. Nach dem Regenschauer geht es nach Mennebach und durch den kleinen Ort hindurch. Am Ende fülle ich meine Wasserflaschen noch an einem Friedhof auf.
Auf einer Wiese sehe ich einen großen Baum umgeben von Büschen. Da der Wald noch deutlich weiter weg ist und die Dämmerung bereits einsetzt, versuche ich hier mein Glück. Meine erste Nacht Wildzelten steht bevor.

Die große Kastanie sieht gesund aus und ich bereite erstmal den Boden vor und versuche die beste Stelle zu finden.
Mein Zelt ist schnell aufgebaut und der Gaskocher bringt Wasser zum Kochen, während ich das Innere des Zeltes vorbereite. Die Isomatte aufgepustet und die Kleidung gewechselt. Auf der Suche nach meinem Beutel mit Zahnbürste und -pasta muss ich feststellen, das dieser noch im letzten Hostel liegt. Zum Glück sind da nur Kleinigkeiten drin, die ich morgen nachkaufen kann. Ich bin aufgeregt vor meiner ersten Nacht Wildcampen und kriege mein Essen kaum runter.
Die Natur scheint mit jeder Minute lauter zu werden. Meine Sinne sind scharf gestellt und ich zähle auf meine Müdigkeit, nicht zu lange wach zu liegen.
Ich bin gleichzeitig nervös, aufgeregt und leicht ängstlich. Meine Neugier ist groß und ich bin so unfassbar außerhalb meiner Comfort Zone, dass ich es fast selbst nicht glauben kann.